Römisches Germanien, um 230. Mehrfach fielen die Alamannen in Germania Superior und Raetien ein. Im Osten des Reiches hatten die persischen Sassaniden 226 das Partherreich erobert und bedrohten römische Provinzen.
Polizeiaufgaben an der Rheintalstraße
Fructo war nun Veteran, nahm aber weiter seine Polizeiaufgaben an der Rheintalstraße wahr. Er war tief besorgt. Umherziehende Räuberbandendrangsalierten die Menschen; Schmuggel und Korruption breiteten sich aus. „Der Kaiser hat zu viele Legionen vom Rhein in den Osten kommandiert“, dachte er, „er stammt ja von dort. Aber die meisten einfachen Soldaten haben tiefe Wurzeln geschlagen und wollen auch nach ihrem aktiven Dienst hier mit ihren Familien leben.“ An seiner Seite war sein Sohn Florens. Als römischer Bürgerhatte gleich in die legio I Minervia eintreten können, und hatte schon nach kurzer Zeit seine Versetzung an diesen Außenposten an der Rheintalstraße bekommen. Nun wurde jeder Mann gebraucht, und Florens war mit den Aufgaben und der Gegend bestens vertraut.
Finno und Puella (um 225)
Als Vigilius wieder einmal bei Fructo zu Besuch war, sah er zahlreiche germanische Arbeitskräfte auf dem Landgut. „Ja“, erläuterte Fructo, „immer mehr kommen jetzt ‚rüber ins römische Reich, um als Feldarbeiter zu arbeiten. Auch ein germanischer Händler ist heute hier, wir werden uns wohl zusammentun. Finno, komm‘ doch mal her!“ Auch Vigilius kannte ihn. Finno, ein Original unter den germanischen Händlern, hatte immer ganz besonders leckeren Honig und prächtiges Streuobst von der anderen Rheinseite mitgebracht. „Ach wisst Ihr“, sagte Finno traurig, „drüben auf der anderen Seite hat sich vieles geändert. Es ziehen immer mehr fremde Menschen hinzu. Die Männer sind rücksichtloser, rauer als wir. Nicht, dass wir nicht auch hart arbeiten und für Haus und Hof kämpfen würden, aber sie sind eher bereit, sich mit Gewalt etwas zu nehmen. Mein Mädchen und ich, wir werden wohl ..“
Fructo und Vigilius lächelten. Mit dem „Mädchen“ war Finnos Eselin Puella gemeint. „Komm, Du weißt, dass Puella in die Jahre kommt“, sagte Fructo freundlich, „Ihr solltet nicht mehr so weite Touren machen, und sei versichert, dass Ihr bei uns immer willkommen seid.“ „Wo genau ist Dein Zuhause“, fragte Vigilius. Finno zeigte auf die andere Seite. „Nicht weit hinter diesen Bergen dort! Von da hab‘ ich Euch das schöne Streuobst mitgebracht!“ „Na siehst Du“, sagte Fructo, „wenn es wirklich brenzlig wird, dann kommst Du her. Von hier hast Du einen herrlichen Blick.“
Truppenabzug von der Rheingrenze (um 231)
Einige wirre Jahre waren ins Land gegangen. Kaiser Caracalla war 218 ermordet worden. Im anschließenden Machtkampf hatte die legio I Minervia Elegabal aus der Familie der Severer unterstützt und dafür den Namenszusatz Antoniniana bekommen. Doch Elegabal galt als verkommen, und wenig später wurde auch er ermordet. Nun wurde Alexander Severus (222-235) auf den Thron gehoben, ein Knabe noch, der völlig unter dem Einfluss seiner Mutter Julia Mamaea stand. Dennoch kehrte in den ersten Jahren seiner Regierung wieder etwas Ordnung ein.
Doch dann kamen beunruhigende Nachrichten aus dem Osten des Reiches. Dort hatten die persischen Sassaniden 226 das Partherreich erobert, und Rom hatte einen neuen, mächtigen Gegner. 230/231 verwüstete ein persisches Heer die römische Provinz Mesopotamien; auch Syrien und Kappadokien waren bedroht. Alexander Severus musste in den Krieg ziehen und reiste im Frühjahr 231 mit Julia Mamaea nach Osten. Für diesen Feldzug zog er Truppen aus dem Westen ab; auch Einheiten der Mainzer, Xantener und Straßburger Legionen mussten mit – auf die Gefahr hin, ihre Regionen fast schutzlos zurückzulassen.
Raubzüge der Alemannen (233-234)
233/234 drangen die Alemannen über den Limes, brannten Kastelle nieder und fielen in Germania Superior und Raetien ein. Die Landgüter der Römer wurden überfallen, die Menschen grausam gefoltert, erschlagen oder versklavt, die Gebäude geplündert und angezündet. Als endlich Verstärkung kam, war es längst zu spät. Die Helfer sahen sie nur noch Tod und Zerstörung, niedergebrannte Höfe und verzweifelte Menschen.
Auch die Menschen in Bonn fühlten mit ihren Mitbürgern im Südwesten und waren sehr besorgt; man musste mit weiteren Überfällen rechnen. An diesem Tag war Florens bei Vitus und seiner Schwester Uvilla in der „Villa Alaudae“. „Auch unsere Mitbürger aus dem Osten sind besorgt“, sagte Uvilla, „von den Sassaniden haben sie nur gehört, aber was sie gehört haben, ist schlimm genug. Die Sassaniden haben die Parther gestürzt und wollen nun ein neues persisches Großreich errichten. Unsere Mitbürger fürchten um ihre alte Heimat und haben Angst, dass es ein langer Krieg wird und immer wieder Truppen von hier in den Osten abkommandiert werden.“
„Das schwächt unsere Grenzverteidigung noch mehr“, sagte Florens mit düsterer Miene, „die Besatzung der Limeskastelle allein kann große Raubtrupps nicht auf-halten, und die Legionsstandorte in Mainz und Straßburg sind durch Truppenverlegungen an den Osten unterbesetzt. Wenn die Barbaren einmal durch sind, hält sie in Gallien bis hinab nach Italien keiner mehr auf.“ „Irgendwann müssen sie zurück über den Rhein, und dann kriegen wir sie“, sagte Vitus entschlossen.
Die Soldaten ermorden den Kaiser
Die schlimmen Nachrichten erreichten Kaiser Severus Alexanders Heer in Lager von Antiochia nach einem verlustreichen Feldzug. Sie brachten die Soldaten aus den germanischen Provinzen noch mehr gegen ihn auf. Schnell traf er ein unsicheres Abkommen und brach den Feldzug ab. Noch immer stand er ganz unter dem Einfluss seiner Mutter und wurde von der Truppe wenig respektiert.
In der zweiten Jahreshälfte 234 oder Anfang 235 eilte der Kaiser mit seiner Mutter nach Mainz. Mit einigen Legionen zog der Kaiser auf einer Pontonbrücke über den Rhein. Doch dann scheuten er und seine Mutter den Kampf und boten sogar den Germanen große Summen an, damit sie Frieden hielten. Für viele Soldaten war nun das Maß voll. Ein Teil des Heeres meuterte – unter ihnen die Mainzer legio XII Primigenia – und erhoben den Offizier Maximinus Thrax zum Kaiser. Niemand wollte für den Kaiser und seine Mutter kämpfen, seine Soldaten liefen zum Gegner über. Julia Mamaea und Severus Alexander wurden im März 235 in ihrem Zelt im Feldlager ermordet.
Finno
Einige Jahre lebte der germanische Händler Finno nun schon auf Fructos Hof. Er hatte es nicht bereut, es gab viel für ihn zu tun. Auch die Eselin Puella, sein „Mädchen“, hatte noch einige glückliche Jahre auf Fructos Hof inmitten seiner Kinderschar verbracht. Nun lag sie hier, auf dem linken Rheinufer, begraben.
Es war richtig gewesen, zu Fructo auf die rechte Rheinseite zu ziehen. Im Grenzgebiet waren marodierende Räuberbanden unterwegs, auch Germanen, die ihn ohne Rücksicht auf seine germanische Herkunft für etwas Beute erschlagen würden. Unter den Römern waren viele, die verroht waren und auf jeden Germanen einschlagen würden – egal ob Freund oder Feind.
Wieder einmal starrte Finno sehnsuchtsvoll nach drüben. Er glaubte nicht, dass es bald Frieden geben würde; viel zu verworren war die Lage.
Maximinus Thrax‘ Gegenschlag (235)
Wenn nur Florens und Vitus endlich wieder hier wären! Kaiser Maximinus Thrax war mit seinen Legionen zu einem Vergeltungsfeldzug ins Innere Germaniens aufgebrochen. Auch die legio I Minervia hatte sich auf seine Seite geschlagen und hieß nun legio I Minervia Maximiana. Florens als Kundschafter und Vitus als Flottenoffizier hatten mitge-musst, denn der Kaiser brauchte jeden Mann. Dabei wusste keiner so recht, gegen wen die Truppen ins Feld zogen. Drüben im Barbaricum waren Völker aus ihrer angestammten Heimat fortgezogen, hatten auf ihrem Weg andere verdrängt oder sich mit ihnen zusammengeschlossen, hatten sich wieder abgespalten und neu zusammengefunden. Keiner daheim auf Fructos Hof und in der „Villa Alaudae“ in Bonn wusste, was ihre Jungens drüben im Barbaricum erwartete.
Das waren sie auch für Finno, seine Jungens, obwohl er Germane von der rechten Rheinseite war. Auch Fructo und Florens waren germanischer Abstammung, Vitus hatte ubische, gallisch-römische und thrakische Vorfahren. Und es waren fremde, neu hinzugezogene Germanen gewesen, die sich in drüben in Finnos Heimat mit Gewalt nahmen, was sie brauchten. Ja, Vitus und Florens waren seine Jungens, denn er hatte sie aufwachsen sehen. Wenn sie nur endlich gesund wiederkämen!
Als es auf den Winter zuging, kehrten Maximinus Thrax und seine Soldaten an den Rhein zurück. Auf dem Rückmarsch waren sie am Harzhorn tief in Germanien in einen Hinterhalt der Germanen geraten, doch dank ihrer überlegenen Ausrüstung und Waffentechnik hatten sie gesiegt.
Raubzüge der Alamannen | Zum Weiterlesen
Römerschlacht am Harzhorn
www.livius.org, Germania Inferior, The Third Century
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