Das Reich in der Krise

Römischer Wachturm
Römischer Wachturm

An der Rheingrenze, um 260-280. Der schnelle, oft gewaltsam herbeigeführte Wechsel auf dem Kaiserthron ließ das Reich nicht zur Ruhe kommen. Doch es muss sich an mehreren Fronten zugleich verteidigen.

Unsichere Zukunft (um 238)

Kaiser Maximinus Thrax hatte einen Vergeltungsfeldzug ins Innere Germaniens angeführt und am Ende gesiegt. Auch Vitus und Florens kehrten unverletzt, aber gezeichnet von den vielen Strapazen zurück. Doch sie konnten nur wenige Tage daheim in der „Villa Alaudae“ und auf Florens‘ Hof verbringen, denn ihr Dienst ging gleich weiter. An diesem Abend sah Finno, wie Vitus am linken Rheinufer stand und hinüber zum Drachenfels schaute.

Er wollte sich schon wieder zurückziehen, da sprach Vitus ihn freundlich an. „Bleib‘ nur“, sagte er, „nun stehen wir beide hier und schauen hinüber. Seit so vielen Jahren haben unsere Leute dort Steine abgebaut, wir von der Flotte haben sie transportiert, und meine Familie hat über Generationen einen Verpflegungstand dort betrieben. Heute ist daran gar nicht zu denken, die Flotte und die Kameraden von der Legion sind ständig in Alarmbereitschaft und auf Patrouille. Manchmal habe ich Angst, dass in meiner Generation das Lebenswerk meiner Vorfahren zu Bruch geht.“

Finno’s Sorgen

Finno nickte. Auch in Germania Inferior kam es zunehmend zu Überfällen rechtsrheinischer Germanen. Bislang hatte die Armee die römischen Landgüter und Höfe gut verteidigen können, doch die Überfälle wurden immer mehr, und sie erfolgten in immer kürzeren Abständen. Oft genug kamen die römischen Truppen zu spät. Das rief andere Kriegsherren auf den Plan, und sie fanden immer mehr Gefolgsleute. „Ich weiß, mein Junge“, sagte er, „ich weiß. Dauernd sind Truppen vom Rhein an anderen Fronten unterwegs, zumal jetzt, wo an der unteren Donau die Goten in römisches Gebiet eingefallen sind. Das kann nicht gut gehen.

Und der Kaiser? Er ist durch Gewalt an die Macht gekommen; ich fürchte, er wird auch durch Gewalt enden. Vielleicht gibt es irgendwann hier wieder Frieden, aber ich werde es wohl nicht mehr erleben.“ Nun schaute Vitus ihn erschrocken an. „Sei nicht traurig“, beruhigte ihn Finno, „ich bin Fructo so dankbar, dass er mich und Puella damals aufgenommen hat, und dass ich Dich und Florens aufwachsen sehen konnte. Und einen Wunsch hätte ich schon noch: Ich möchte noch erleben, dass Ihr beide heiratet und eine Familie gründet. Dann wüsste ich, dass unser Leben hier weitergeht.“

Kriege im Osten

Finno sollte Recht behalten. Maximus Thrax führte seine ganze Regierungszeit durch Krieg und wurde am Ende von Soldaten ermordet. Aufstände und Bürgerkriege folgten. Am Ende setzte sich Gordian III. (238-244) durch. Doch auch seine Regierungszeit war von Abwehrschlachten gegen die Goten und Sassaniden geprägt. Der Kaiser begab sich in den Osten; wieder wurden Truppen vom Rhein abgezogen und auch Einheiten der Bonner Legion, nun legio I Minervia Gordiana, zogen mit. Nach ersten Erfolgen erlitten die Römer 244 eine schwere Niederlage. Schließlich kam 253 Gallienus als Mitkaiser seines Vaters Valerian auf den Thron, er sollte die Verteidigung des Westens übernehmen, und ein wenig Ruhe schien einzukehren.

Endlich konnten sich Vitus und Florenz von ihrem aktiven Dienst verabschieden, standen aber als ständige Reserve zur Verfügung. Endlich war auch Zeit für Privates. Vitus heiratete Cicilla aus Florens‘ Familie, und auch Florens hatte seine Liebe gefunden. Finno war außer sich vor Freude. Niemand wusste, wie alt er inzwischen war, auf jeden Fall uralt. Einige Wochen später starb er mit einem Lächeln auf dem Gesicht im Kreis der Familie, die ihn adoptiert hatte.

Petronius Alutensis (um 256)

Dann geriet die Ostgrenze des Reiches völlig ins Wanken. 252-256 stießen die Sassaniden in einer Großoffensive nach Mesopotamien, Armenien und Syrien vor. Wichtige Grenzstädte wie Dura Epopos am Euphrat fielen an die Feinde. Wieder musste Kaiser Gallienus Truppen vom Rhein abziehen, um das Heer Valerians im Osten zu stärken.

Unter den Legionären der I Minervia waren auch Männer, die ihre Wurzeln im Osten des Reiches hatten. Seit dem Parther-Krieg zogen zunehmend Menschen aus dem Osten her, oder sie waren vor Ort für die Legion rekrutiert worden. So wie der Großvater von Petronius, er war aus Armenien an den Rhein gekommen. Nach seiner aktiven Zeit in der Legion hatte er eine Einheimische geheiratet. Auch wenn Bonn keine so große Stadt wie die CCAA war, so fand er hier ein bunt gemischtes Völkchen vor, was ihm gut gefiel. Sein Sohn und sein Enkel waren am Rhein geboren worden.

Petronius war oft in der „Villa Alaudae“ bei Vitus und seiner Familie zu Gast. Dann fragten ihn die Kinder regelmäßig aus, was er sich gerne und geduldig gefallen ließ. Als feststand, dass Truppen von der Rheinfront an die Ostgrenze verlagert würden, hatte sich Petronius selbst gemeldet. „Natürlich fällt es mir schwer, von hier weg zu gehen“, sagte er, „aber ich möchte auch einmal die Welt meines Großvaters kennenlernen.“ „Sind die Berge dort in Armenien wirklich so hoch?“ wollte der kleine Vitillus wissen. „Ja, sehr hoch“, antwortete Petronius lächelnd. „Höher als die dort drüben?“ hakte der Kleine nach, mit einer ausladenden Handbewegung auf die Sieben Berge drüben auf der anderen Rheinseite. Da lachte Petronius herzlich. „Viel viel höher“, sagte er, „so hoch, dass sie in die Wolken hineinreichen!“

Bewegt nahmen viele kleine und große Einwohner des Städtchens Bonn Abschied von Petronius. Keiner wusste, ob man ihn wiedersehen würde.

Frankeneinfall (256-258)

Bald darauf fielen die Franken in Germania Inferior ein; mehrere Kastelle am Rhein wurden zerstört, Krefeld-Gelduba dem Erdboden gleichgemacht, fast alle Einwohner und die zur Hilfe eilenden Soldaten wurden niedergemetzelt. Die Franken drangen nach Gallia Belgica vor und eroberten Trier. Nur dank ihrer steinernen Stadtmauer überstand die CCAA den Überfall.

Kaiser Gallienus eilte nach Gallien und konnte Trier zurückerobern, er reorganisierte die Verteidigung von Germania Superior und Gallia Belgica. Zusammen mit seinem Statthalter in Germanien, Postumus, konnte er die Franken zurückdrängen.

Ein Katastrophenjahr für die römische Welt (260)

Doch 260 musste Gallienus den Feldzug plötzlich abbrechen. Im Osten war das römische Heer unter Kaiser Valerian in der Schlacht bei Edessa und Karrhai in Mesopotamien vernichtend geschlagen worden, der Kaiser selbst in die Gefangenschaft des Sassanidenkönigs geraten. Erst viel später erfuhren seine Lieben daheim in Bonn, dass Petronius Alutensis nicht zurückkehren würde. Er war unter den Toten von Edessa und Karrhai. Es blieb noch nicht einmal Zeit, ihn zu betrauern.

Als die Nachricht von der Niederlage des Kaisers nach Rom kam, ließ sich ein Statthalter an der Donau zum Kaiser ausrufen und ein Bürgerkrieg brach aus; wieder wurden die Truppen vom Rhein und vom Limes abgezogen. Sogleich überrannten die Alemannen und Franken den Limes und drangen auf den gut ausgebauten Römerstraßen bis nach Spanien und Italien vor. Mit knapper Not konnte Kaiser Gallienus sie bei Mailand zurückschlagen; doch die Folgen für die römischen Provinzen an Rhein und Donau waren verheerend.

Postumus

Auch als Veteran war Vitus stets auf seinem Schiff auf dem Rhein unterwegs, denn die Flotte brauchte jeden Mann. Wieder war er auf dem Weg von Bonn hinab nach Germania Superior und zurück. Angestrengt blickte er auf die rechte Rheinseite. Irgendwo in den dichten Wäldern lauerten ihre Feinde, und die konnten plötzlich über die römischen Siedlungen hereinbrechen. Der Überfall von Krefeld-Gelduba war so schnell gekommen, dass weder die Zivilisten noch die herbeieilenden Soldaten eine Chance gehabt hatten.

Endlich konnte Gallienus‘ Statthalter in Germania Inferior, Postumus, die Franken entscheidend schlagen. Doch nach einem Streit mit dem Sohn des Kaisers über Beute, die seine Truppen den Franken abgejagt hatten, riefen seine Truppen ihn zum Kaiser aus. Auch die Xantener legio XXX Ulpia Victrix und die Bonner legio I Minervia stellten sich auf seine Seite. Andere germanische Legionen, so die XXII Primigenia in Mainz, hielten weiter Kaiser Gallienus die Treue. Von der VIII Augusta in Straßburg wusste man es nicht genau. Vitus war bedrückt. Nun musste man nicht nur die Franken bekämpfen, nun gingen sich die Römer untereinander an die Kehle.

Sit vobis terra levis – möge die Erde über Euch leicht sein (260)

Es drängte ihn zu seinem Freund Florens, er musste sich vergewissern, dass es ihm und seinen Angehörigen und allen dort auf dem Hof gut ging. Immerhin war Florens ein Offizier der legio I Minervia, und die XXII Primigenia war auf der Seite von Kaiser Gallienus verblieben. Mit aller Inbrunst wehrte sich Vitus gegen den Gedanken, dass sich nach so vielen Jahren an der Rheingrenze Angehörige zweier benachbarter Legionen bekriegen würden, aber es waren schlimme Zeiten, und das ging auch an den Soldaten nicht spurlos vorbei. Auf dem Hof lief ihm Florens entgegen. Gottseidank, hier war alles heil. Aber Florens hatte schlimme Nachrichten. „Sie haben Niederbieber zerstört.“

Vitus war erschüttert. Niederbieber.. sein Vater Vigilius hatte es mit aufgebaut, hier hatten sie mit Fructo die Verleihung des römischen Bürgerrechts gefeiert, hier hatte er die feuervergoldete Dracostandarte gesehen – und nun war all dies zerstört. Es schien ihm, als wenn die Welt seiner Kindheit, die seines Vaters und Großvaters in Trümmern lag. Er hockte sich nieder, nahm ein paar Brocken Erde auf und ließ sie langsam wieder zu Boden fallen. „Sit vobis terra levis – möge die Erde über Euch leicht sein“, sprach er als kurzes Totengebet. „Vermutlich waren es die Barbaren“, meinte Florens, „aber einige zweifeln dran.“ Langsam richtete sich Vitus auf. „So schlimm es ist, wir dürfen es jetzt nicht zu sehr an uns heranlassen, sonst nimmt es uns jede Kraft. Wir müssen uns jetzt um die Sicherheit unserer Leute kümmern.“

Fest umarmte er seinen Freund, dann machte er sich entschlossen auf den Weg. Einen handwerklich begabten Kameraden bat er, eine Dracostandarte für den Mast seines Schiffes zu schnitzen und sie goldfarben anzumalen. Dann ruderten sie los. Jederzeit konnte der Feind wieder über die Grenze dringen.

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Das Reich in der Krise, Reichskrise des 3. Jahrhunderts | Zum Weiterlesen
www.livius.org, Germania Inferior, The Third Century

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