Römische Bürger am Rhein

Villa Rustica
Villa Rustica

Römisches Germanien, um 200. Die Dynstie der Severer, brachte noch einmal eine Stabilisierung. In Bonn verehrte man sie. Mit der Constitutio Antoniniana gewährte Kaiser Caracalla allen Freien das römische Bürgerrecht.

Die legio I Minervia auf der Seite von Septimius Severus

Septimius Severus (193-211) war der erste Kaiser, der nicht der alten senatorischen Elite Roms entstammte, er wurde noch nicht einmal in Rom zum Kaiser ausgerufen. Septimius Severus kam aus Leptis Magna in Nordafrika, seine Muttersprache war Punisch, und seine zweite Frau Julia Domna stammte aus dem Hochadel Syriens.

In Bonn verehrte man das severische Kaiserhaus. Im Bürgerkrieg nach dem Tod des verhassten Commodus 193 hatte sich die legio I Minervia sofort auf Severus‘ Seite geschlagen – gegen Pescennius Niger, den Truppen in Syrien zum Kaiser ausgerufen hatten. Einen anderen Thronprätendenten, Clodius Albinus in Britannien, konnte Septimius Severus erst einmal hinhalten, indem er ihm die Nachfolge auf dem Thron versprach. Severus siegte und nahm Rom ein. Bald darauf wurde Albinus klar, dass der Kaiser nicht daran dachte, ihn an der Macht zu beteiligen. Wieder brach Krieg aus. Anfang 197 kam es in der Nähe von Lyon zu einer blutigen Schlacht, in der Albinus unterlag und am Ende umkam.

Einheiten der legio I Minervia in Lyon

Auch Soldaten der legio I Minervia hatten in Lyon gekämpft. Nach seinem Sieg brauchte der Kaiser dort Männer, auf die er sich verlassen konnte, und verlegte auch Einheiten der I Minervia dorthin. Für viele war das Grund zur Freude, vor allem für die Legionäre, die aus Gallien stammten und sich als Veteranen gerne dort niederlassen wollten. Andere freuten sich nach den Jahren im Städtchen Bonn an der Rheingrenze auf etwas Abwechslung in der gallischen Weltstadt Lyon.

Für Vigilius‘ Familie bedeutete es, Abschied zu nehmen. Seine Schwester Rubula war mit Silvanus, einem Offizier der legio I Minervia, verheiratet. Er stammte aus Südgallien und würde nun mit nach Lyon gehen. Auch für ihn war das nicht einfach – seine Heimat war Gallien, seine Liebe Rubula hatte er in Bonn gefunden. „Nun stehe ich mit einem Bein an der Rhône und mit dem anderen am Rhein“, sagte er. Rubula wollte sich und ihnen allen Mut machen. „Papa und Mama mussten doch auch mit langen Trennungen fertig werden, und mein Großvater Uvius Pino stammte aus Bordeaux.“ „Ich bringe Euch“, sagte Vigilius entschieden, „wir fahren über den Rhein, dann die Mosel und die Rhône hinab.“ Rubula strahlte, und ihr Mann drückte seinem Schwager dankbar die Hand.

Vigilius und Viticula

„Was wird aus der ‚Villa Alaudae‘ fragte Rubula. Sie hing an dem Familienunternehmen, das sie in den letzten Jahren gut durch eine Umbruchsphase gesteuert hatte. Vigilius erinnerte sich noch gut an den Tag, als Verenatus und Fabicula mit den ersten Oliven aus Africa nach Bonn gekommen waren. Damals lagen die Markomannen-Kriege gerade hinter ihnen und die Pest hatte das Reich verheert. Verenatus wäre fast daran gestorben und das Handelshaus war so schwer heimgesucht worden, dass es alleine nicht weiter bestehen konnte und in ein größeres Handelsunternehmen, das Al’Alio in Lyon, eingegliedert worden war. Auch ihr Cousin war dorthin gegangen, und so ließ sich der neue Handelsbetrieb gut an. In der „Villa Alaudae“ gab es nun eine köstliche kulinarische Mischung: Oliven und Olivenöl aus Africa und dem Mittelmeerraum und andere mediterrane Spezialitäten ebenso wie die Pofertiuli ihrer Mutter Anike und andere einheimische Gerichte.

Bisher hatte Rubula die Leitung innegehabt, und noch lebte Vigilius‘ Liebe Viticula noch nicht bei ihnen. „Dann werden Viticula und ich eben vor dem offiziellen Ende meiner Dienstzeit heiraten“ sagte Vigilius trocken. „Und wenn die Lage in Lyon einigermaßen stabil ist, werde ich mich mit um die Logistik kümmern“, sagte sein Schwager Silvanus, „Al’Alio ist ja in Lyon, und Kaiser Septimius Severus, der selbst aus der Provinz Africa stammt, fördert den Handel mit seiner Heimat nach Kräften. Das sollte schon so gehen. Dann werden wir auch oft hier sein.“

Constitutio Antoniniana – Römisches Bürgerrecht (212)

Wer um das Jahr 212 nach Bonn kam, sah fast überall freudige Gesichter, viele Häuser und Straßen waren geschmückt, und auch Schiffer auf den Rhein bliesen in ihrer Hörner. Kaiser Caracalla (211-217) hatte mit der „Constitutio Antoniana“ allen Freien das Römische Bürgerrecht geschenkt.

Auch die Menschen in Bonn waren nun römische Staatsbürger. Caracalla, bei der alten Elite in Rom und bei vielen Menschen wegen seiner Grausamkeit verhasst, bevorzugte die Soldaten. Er hob den Sold an und gestattete ihnen, schon während ihrer Dienstzeit zu heiraten. Endlich hatten die römischen Autoritäten ein Einsehen: die Soldaten durften mehr Zeit mit ihren Familien in den Lagerdörfern verbringen. Dafür bekam das Römische Reich etwas zurück, denn auch als Veteranen blieben die Soldaten oft ihrem alten Stationierungsort treu.

Veteran der Flotte

Vigilius war nun Veteran der Flotte, er lebte mit Viticula und den beiden Kindern Vitus und Uvilla in der „Villa Alaudae“. Er freute sich für seinen Kameraden Fructo von den Hilfstruppen, der durch die Verordnung des Kaisers römischer Bürger wurde. Wenige Jahre vor dem Ende seiner Dienstzeit machte ihm eine alte Verletzung arg zu schaffen, doch erst nach einer langen Dienstzeit hatte man bisher das Bürgerrecht bekommen. Nun konnte er mit allen Ehren aus dem aktiven Dienst bei den Hilfstruppen ausscheiden und sich ganz offiziell mit seiner Liebe und seinem kleinen Sohn Florens auf dem Hof ihrer Familie niederlassen. Dort würde er auch Polizeiaufgaben wahrnehmen.

Auch im Kastell Niederbieber und dem umgebenden Vicus feierten die Menschen-den Erlass des Kaisers. Als Vigilius mit seinem Sohn Vitus zu Besuch kam, war alles festlich geschmückt. Die Schwerter und Schilde blinkten, und die Feldzeichenträger reckten stolz ihre Feldzeichen in den blauen Himmel.

Die Draco-Standarte in Niederbieber

Auf einmal zupfte Vitus seinen Vater am Ärmel und zeigte auf etwas. Vigilius folgte seinem Blick. Zwischen all den römischen Feldzeichen leuchtete ein feuervergoldeter Drachenkopf, sein Körper aus Stoff flatterte im Wind. „Das ist eine Dracostandarte“, sagte er, „sie ist noch selten und etwas ganz Besonderes in unserem Heer.“ Und dann erzählte er: „Weißt Du, das Römische Reich ist riesig, und die Soldaten kommen aus vielen verschiedenen Ländern. Diese Drachenreiter sind Sarmaten, sie stammen von der unteren Donau. Viele von ihnen sind in Britannien stationiert, und einige sind jetzt auch hier am Rhein.“

Vigilius fühlte eine tiefe Freude in sich aufsteigen. Hier, am Rande des Römischen Reiches, erlebte er auf kleinem Raum dessen ganze Vielfalt, und das faszinierte ihn immer wieder. Hierhin brachten die vielen Soldaten aus vielen verschiedenen Ecken des riesigen Reiches ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Leckereien mit; hier trafen sich römische Kultur und einheimische Traditionen. Dann sagte er fast träumerisch: „Der Drache ist wunderschön, nicht?“ Vitus gab keine Antwort, aber auch er würde die Dracostandarte nie vergessen.

Fructos Hof (um 215)

Fructos Gutshof lag an der Rheintalstraße zwischen Bonn und Remagen, von seinem Fenster aus sah er in der Ferne den Drachenfels und die anderen Berge. Die römischen Autoritäten sahen es gerne, dass sich Veteranen an der Rheintalstraße ansiedelten und auch Polizeiaufgaben wahrnahmen. Der Hof gedieh prächtig. Fructos Sohn Florens bekam bald eine Schwesterchen und weitere Geschwister, die oft mit Vigilius‘ Kindern über den Hof tollten.

An diesem Tag war Vigilius wieder zu Besuch bei seinem Freund. „Erzähl‘ mal, wie geht’s Dir denn so als Veteran?“ fragte Fructo. „Ganz gut“, meinte Vigilius, und das stimmte ja auch. Viticula und er führten die „Villa Alaudae“, seit seine Schwester Rubula vor einigen Jahren mit ihrem Mann Silvanus nach Lyon gegangen war. Dessen Wunsch war in Erfüllung gegangen: nachdem sich die Lage stabilisiert hatte, war er Verbindungsoffizier zwischen Bonn und Lyon geworden und viel zwischen beiden Städten unterwegs.

Und da auch das Handelshaus Al’Alio in Lyon war, konnte er die Sendungen für Bonn gleich dort in Auftrag geben. „Wann immer Silvanus und Rubula nach Bonn kommen, bringen sie selbst einige Amphoren mit, das lassen sie sich nicht nehmen“, lachte er, „und jedes Mal freuen sie sich wieder über die glücklichen Gesichter.“ Er nahm noch einen Schluck, dann sagte er lächelnd: „Manche Dinge ändern sich eben nicht, dasselbe hat schon Großmutter Nauticula Minor von ihrem Großvater Aliter und ihrem Großonkel Olivifer Nativo, den Begründern unseres Hauses, berichtet.“ Fructo nickte zufrieden.

Rotwein aus Gallia Lugdunensis

„Und jetzt hab‘ ich noch eine Neuigkeit für Dich“, fuhr Vigilius mit einem verschmitzten Lächeln fort, „Du weißt ja, die Abordnungen der legio I Minervia sind aus Lyon zurück, aber Silvanus stammt aus Gallien und hat sich mit Rubula dort niedergelassen. Und rate mal wo genau, auf einem Weingut! Beim nächsten Mal werden sie uns ihren eigenen Rotwein aus Gallia Lugdunensis mitbringen!“ Vigilius strahlte über das ganze Gesicht. „Und noch was“, sagte er, „Silvanus hat uns schon dorthin eingeladen, und er bietet an, dass Leute aus Eurer Familie, die dort drüben auf der anderen Rheinseite Wein anbauen, auf ihrem Gut lernen können. Viticula kann es kaum erwarten und ist schon drüben und berichtet ihrer Familie. Auch Uvilla will unbedingt mit!“

Beide schauten hinüber zu Vigilius‘ kleiner Tochter, die mit ihrem Bruder Vitus und Fructos Kindern spielte. Die Freundschaft der Väter setzte sich bei den Kindern fort; Vitus und Florens waren wie Brüder. Vitus wollte wie er Flottenoffizier werden, Florens, der nun auch ein kleiner römischer Bürger war, wollte in die legio I Minervia eintreten. Uvilla würde einmal die „Villa Alaudae“ übernehmen.

Vigilius ging das Herz auf. Als er klein war, herrschte Not: das bange Warten auf die Rückkehr der Soldaten aus dem Partherkrieg, die Pest, der Vater Nautianus, der als Veteran noch einmal an die Front zog, um die Handelsschiffen Geleitschutz zu geben. Nun herrschte Frieden an der Rheingrenze, die ubischen und batavischen Hilfstruppen waren von der unteren Donau zurück, und er hoffte innig, dass diese nächste Generation in Frieden leben konnte.

Großküche und Bäckerei

Nun, da Geld in die Provinzen kam, wurden Straßen gebaut, Gutshöfe erweitert und erneuert. Auch in Bonn wurde viel gebaut: Tempel, ein Forum und auch Werkhallen und neue Stichstraßen zum Rhein. Vigilius war außer sich vor Freude – nicht nur die Bonner legio I Minervia, sondern auch die Classis Germanica, seine Rheinflotte, baute eine große Werkhalle am Rheinufer mit einer Großküche und einem Backofen! Fast täglich schaute er bei der Baustelle vorbei. Seit Generationen hatte die „Villa Alaudae“ geholfen, die eintönige Kost der Arbeitstrupps in den Steinbrüchen am Drachenfels aufzubessern, er selbst hatte auch den Hilfstruppen in Niederbieber immer etwas mitgebracht. Nun konnte er das mit „seiner“ Flotte im Rücken noch viel effizienter machen!

Ganz besonders freute ihn auch, dass das Heiligtum der Aufanischen Mütter instand gesetzt wurde. Er war oft da und brachte Verpflegung für die Männer, die dort arbeiteten. Viele Menschen von nah und fern kamen hierher und baten die Muttergöttinnen um ihren Schutz.

Besuch aus Straßburg (um 220)

An diesem Tag war Silvius, ein Centurio der legio VIII Augusta aus Straßburg, in Bonn. Vigilius hatte ihn abends zu sich in die „Villa Alaudae“ eingeladen. Während seiner aktiven Zeit hatte er oft in Straßburg angelegt; er mochte die Stadt in Germania Superior mit ihrer gallo-römischen Prägung und freute sich darauf, Neuigkeiten zu hören. „So guten Wein wie bei Euch haben wir hier noch nicht“, begann er während er einschenkte, „nun erzähl‘ mal, was bewegt Dich, hierher zu kommen?“ „Viele unserer Leute haben eine enge Bindung an den Rhein und Germania Superior“ antwortete Silvius, „sie möchten sich nach ihrem aktiven Dienst hier niederlassen und Familien gründen. Deshalb möchte ich stellvertretend für sie den Matrones danken dafür, dass es hier an der Grenze noch ruhig ist und bitten, dass es noch lange so bleibt.“

Unten im Südwesten, in den Agri Decumates zwischen Rhein und Donau, war eine neue große Germanengruppe aufgetaucht, die Germania Superior und Raetien bedrohte. „Kaiser Caracalla hatte sich zu einem Präventivschlag entschlossen und selbst seine Truppen ins Barbarenland jenseits des Limes geführt“, fuhr Silvius fort, „unsere legio VIII Augusta und die XXII Primigenia aus Mainz waren mit dabei. Erst einmal haben wir denen blutige Nasen verpasst und ich hoffe, dass sie nun Ruhe geben. Der Kaiser ist nach Rom zurück und triumphiert, danach will er in den Osten gegen die Parther ziehen.“

„Ihr müsst nicht mit?“ fragte Vigilius. Abordnungen der Legionen I Minervia und XII Primigenia hatten in den Partherkriegen von Caracallas Vater Septimius Severus gekämpft. „Nein“, sagte Silvius, und er klang erleichtert, „das will Kaiser Caracalla mit den mesopotamischen Legionen, die sein Vater auf-gestellt hatte, schaffen.“ Er schwieg eine Weile, nahm noch einen Schluck und sagte dann: „Das ist auch ein Grund, dankbar zu sein. Weißt Du, ich möchte am Rhein alt werden.“

Wird je wieder Frieden herrschen?

Finno, der germanische Händler, lebte mit seiner Eselin Puella nun auf Fructos Hof. „Als Gärtner“, wie er betonte, denn ein Gnadenbrot wollte er nicht. Beide, Herr und Tier, fanden schnell Anschluss, und schon bald wuchsen prächtige Pfirsiche, Pflaumen, Zwetschgen, Birnen und Äpfel im Obstgarten, und Fructos Familie wuchs mit dem fröhlichen Wiehern Puellas und der anderen Esel auf. Nur manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, blickte Finno sehnsuchtsvoll auf die andere Rheinseite hinüber, wo sein Zuhause war. Ob je wieder Frieden herrschen würde?

In Bonn stellte sich Vigilius‘ Familie dieselbe Frage. Vitus war seit kurzem Flottenoffizier wie sein Vater und kam gerade aus dem Norden Germania Inferiors, der Heimat seiner Mutter Anike, zurück. Auch von hier wurden immer wieder Überfälle gemeldet, doch das römische Militär konnte sie bislang abwehren. Gerade erst hatte die legio I Minervia drüben auf der anderen Rheinseite germanische Plünderer besiegt. Man hatte einen Siegesaltar auf dem Kampfplatz errichtet; das war dem Statthalter und den Legionskommandeuren offenbar sehr wichtig. Besorgt sagte Vigilius zu seinen Kindern: „Ich hatte so gehofft, dass Eurer Generation Krieg erspart bleibt. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Wenn noch nicht einmal die unmittelbare Nähe eines großen Legionslagers die Germanen abschreckt, sind auch wir nicht mehr sicher.“

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